04.09.2019 / Wind, Unternehmen, Presse
Autor: Michael Class, Vorstandsvorsitzender der juwi AG
Die Windenergie an Land erlebt derzeit einen massiven Einbruch bei den Installationszahlen. Im ersten Halbjahr 2019 gingen lediglich 86 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 287 Megawatt neu ans Netz. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2018 waren es noch 1.626 Megawatt – das entspricht einem Rückgang von 82 Prozent. Die ersten sechs Monate des Jahres 2019 sind damit seit mehr als 20 Jahren das schwächste Halbjahr in der Geschichte des Windenergieausbaus.
Beim Blick auf die derzeit bundesweit vorliegenden Genehmigungen für Windenergie-Anlagen ist zu befürchten, dass sich diese Entwicklung auch in Zukunft leider nicht wesentlich verbessern wird. Daher ist die Politik nun dringend gefordert, zeitnah gegenzusteuern. Nachfolgend soll skizziert werden, was die Politik umgehend anstoßen sollte.
Vorspann
Zunächst hilft ein grundlegendes Verständnis darüber, wie Windenergie-Projekte überhaupt von der Idee zur Realisierung kommen. Man kann sich das gut wie bei einem „Trichter“ vorstellen:
Jeder dieser Bereiche hat einen Effekt auf die Genehmigungsmengen, die unten aus dem Trichter rauskommen. Der Bundesverband Windenergie hat einen umfangreichen Aktionsplan für mehr Genehmigungen von Windenergie an Land vorgelegt. Diese Zusammenstellung stellt fast alle Punkte gut dar und führt diese zudem fachlich sehr gut aus. Am Beispiel des oben genannten Trichters lassen sich wesentliche Punkte kurz erläutern:
zu 1.) Trichter breiter machen
Wir brauchen bundesweit ca. zwei Prozent der Fläche als ausgewiesene Windvorranggebiete. Dies muss zwischen Bund und den Ländern koordiniert werden. Es wird Regionen geben, die mehr als zwei Prozent erbringen können und müssen, andere hingegen sind dichter besiedelt oder haben andere Tabubereiche wie z.B. Natur- oder Vogelschutzgebiete und können deshalb nur weniger zu diesem Ziel beitragen. Aktuell sind bundesweit nur ca. ein Prozent ausgewiesen.
Zudem müssen die ausgewiesenen Gebiete dann auch sicher bebaubar sein, sprich der Windenergie muss Vorrang eingeräumt werden. Dafür brauchen wir u.a. sowohl eine Anpassung im Raumordnungsgesetz als auch im Baugesetzbuch. Es versteht sich von selbst, dass Maßnahmen wie eine Aufhebung der Privilegierung der Windenergie im Außenbereich oder pauschale Abstandsregelungen dem Ziel eines breiteren Trichters völlig entgegenlaufen. Das Beispiel 10H in Bayern zeigt, dass der Trichter damit oben zugeschnürt würde.
Zu 2.) Trichter weniger stark verengen
Die Verengung des Trichters wird maßgeblich vom Umfang des Genehmigungsverfahrens bestimmt. Insbesondere der Artenschutz ist in Einklang mit dem erforderlichen Ausbau der Windenergie zu bringen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Klimaschutz nicht zuletzt immer auch Artenschutz ist: Die Klimaveränderung stellt die größte und massivste Bedrohung für den Artenschutz weltweit dar.
Konkret sollte im Genehmigungsverfahren nach BImSchG das sogenannte Signifikanzkriterium geschärft werden. Hier stellt sich die Frage: „Wie hoch ist das allgemeine Lebensrisiko eines Tieres gegenüber dem Risiko, durch eine Windkraftanlage zu Schaden zu kommen? Erhöht sich damit das allgemeine Lebensrisiko signifikant?“ Hier braucht es bundesweit einheitliche Bewertungsmaßstäbe. Übergreifend sollten wir bei der Beurteilung, ob durch eine Windenergieanlage eine besondere Gefährdung für bestimmte Tiere ausgeht, deren Population als Maßstab nehmen, und nicht das einzelne Tier.
Bei den naturschutzfachlichen Maßstäben sollten die Abstandsradien zu den Brutplätzen nicht als starre Ausschlusskriterien, sondern als Prüfradien vorgegeben und angewendet werden. Die Ländererlasse und Leitfäden sollten entsprechend regelmäßig überprüft und aktualisiert werden.
Von Seiten des Bundes wäre eine Anpassung an internationale Maßstäbe bei Drehfunkfeuer um Flughäfen (VOR, DVOR) zur Abstandsreglung dringend erforderlich, Durch eine Anpassung von 15 km auf die international akzeptierten 10 km könnten viele der aktuell geblockten Projekte umgesetzt werden.
Zu 3.) Die Fließgeschwindigkeit durch den Trichter erhöhen
In der Vergangenheit dauerte die Entwicklung eines Windprojektes ca. zwei bis drei Jahre. Das sind die historischen Zahlen. Aktuell sind wir bei drei bis fünf Jahren, mit stark steigender Tendenz. Gegenwärtig wird nahezu jedes Windenergieprojekt in Deutschland beklagt. Die Genehmigungsbehörden sind verunsichert und/oder überfordert, und die Genehmigungsverfahren werden länger und länger.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sollten in einem ersten Schritt die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Dafür müssen die Genehmigungsbehörden mit ausreichend fachlich geschultem Personal und technischem Equipment ausgestattet werden, damit sie ihrer Aufgabe innerhalb der Fristen des Bundesimmissionsschutzgesetzes auch nachkommen können. Bei Überschreitung der Fristen sollte dies auch sanktioniert werden.
Hinsichtlich der Widerspruchs- und Klageverfahren gegen Genehmigungen sollte das Verbandsklagerecht überprüft und die Präklusion wieder eingeführt werden. Um den Aufwand der Gerichte in Grenzen zu halten sollte eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte festgelegt werden und damit die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte entfallen.
Übergreifend sollte als zentrale Maßnahme zur Steigerung der Akzeptanz in der Bevölkerung eine bundesweit einheitlich geregelte, substanzielle wirtschaftliche Beteiligung der Kommunen an den Erlösen von Windenergieanlagen eingeführt werden. Sie bietet die Chance, Windenergie zum Partner strukturschwacher oder vom Strukturwandel betroffener Regionen zu machen – mit unmittelbarem und sichtbarem Nutzen für das Gemeinwesen vor Ort.
Ausgewiesene Flächen durch eine Verlängerung des Referenzertragsmodells auf 60% auch wirtschaftlich machen. Diese Maßnahme kann durch den Bund mittels EEG-Anpassung kurzfristig umgesetzt werden und damit unmittelbar im ganzen Land Wirkung entfalten.
Neben den oben genannten Maßnahmen müssen wir dafür sorgen, dass möglichst alle ausgewiesenen Flächen wirtschaftlich auch so attraktiv sind, dass sie entwickelt werden. Gerade in Mittel- und Süddeutschland haben wir viele potenzielle Standorte, die eine Windhöffigkeit von kleiner 70% des festgelegten Referenzwertes aufweisen. Aus den Szenario-Rechnungen, u.a. auch der Bundesnetzagentur (BNetzA) für die Netzauslegung, wissen wir aber, dass wir auch diese Standorte für die Energiewende brauchen.
Aktuell werden diese Standorte jedoch nicht entwickelt, weil ein Projektierer nicht weiß, ob er damit in drei bis fünf Jahren in den Ausschreibungen wettbewerbsfähig sein kann. Denn das aktuelle EEG-Referenzertragsmodell gleicht in den Ausschreibungen die Windhöffigkeit für Standorte erst oberhalb einer Güte von 70% wirtschaftlich aus. Projekte unterhalb dieser Güte haben deutliche wettbewerbliche Nachteile. Diese Grenze sollte deshalb nach unten bis auf Standortgüten von 60% „verlängert“ werden.
Damit können wir bundesweit – selbst bei der aktuell bestehenden ausgewiesenen Flächenkulisse der Länder - substanziell mehr Projekte für den Wettbewerb bereitstellen, sprich den Trichter oben breiter machen. Zudem stellen sich durch diese Maßnahme weitere positive Effekte ein:
Unser Site-Assessment hat am Beispiel Baden-Württemberg durchgerechnet, wieviel mehr an Potenzialflächen wir durch eine Verlängerung des Referenzertragsmodells von 70% auf 60% Standortgüte erhalten könnten. Tatsächlich würden sich die möglichen wirtschaftlichen Flächen nahezu verdreifachen. Das Ergebnis ist nicht auf andere Bundesländer 1:1 übertragbar, da Baden-Württemberg bekanntlich viele windschwächere Standorte hat. Es zeigt aber, welches Potenzial in dieser Maßnahme steckt. Und natürlich gibt es auch im Norden Standorte unter 70% Güte, also auch hier hätten wir positive Effekte auf die Flächenpotenziale.