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„Wir haben die Technologien schon heute zur Verfügung“

Die Speichertechnologien gewinnen für die Energiewende langsam an Bedeutung. Mit Professor Dirk Uwe Sauer von der RWTH Aachen sprachen wir über die aussichtsreichsten Lösungen, das Potenzial von Elektroautos zur Netzstabilisierung und die Anforderungen an die Politik.

Bislang spielte das Thema Speicher bei der Energiewende in Deutschland eher eine Nebenrolle. Ab wann muss und wird sich das ändern?
Wir haben uns sinnvoller Weise erst einmal um den Ausbau der erneuerbaren Energien gekümmert. Und anders als bei den erneuerbaren Energien sollte man bei den Speichern nicht so viel wie möglich bauen, sondern das, was gerade notwendig ist. Jeder Speicher verursacht zusätzliche Kosten und die Nutzung verursacht Wirkungsgradverluste. In verschiedenen Studien haben wir ziemlich gut zeigen können, dass es tatsächlich bis zu einem Anteil von etwa 50 Prozent erneuerbare Energien gar keinen echten Bedarf für Speicher aus Sicht des Stromnetzes gibt. Und Langzeitspeicher brauchen wir sogar erst jenseits eines Anteils von 80 Prozent erneuerbare Energien. 

Jetzt sind wir aber genau an dem Punkt, an dem Speicher notwendig werden, um von den fossilen Kraftwerken wegzukommen. Es gibt inzwischen vermehrt Zeiten, zu denen eigentlich die konventionellen Kraftwerke nicht gebraucht werden. Um sie in diesen Phasen aber tatsächlich auch abschalten zu können, brauchen wir Speicher für die Momentan-, Primär- und Sekundärreserve. Das ist nötig, um Schwankungen auszugleichen und die Netzstabilität sicherzustellen.

Was mir noch wichtig ist: Wir reden immer über Speicher. Aber aus Sicht des Stromnetzes brauchen wir nicht unbedingt Speicher sondern Flexibilität. Das heißt, wenn viele erneuerbare Energien da sind, brauchen wir etwas, was den überschüssigen Strom sinnvoll verbraucht. Und wenn zu wenig Strom da ist, müssen wir eben Leistung freisetzen. Das kann auch das Abschalten von Lasten sein. Ein Speicher ist technisch gesehen das ideale Element dafür, aber die Aufgabe des Ausgleichs zwischen Angebot und Nachfrage kann auch anders erreicht werden.

In der politischen Diskussion wird gerne auch auf zukünftige Innovationen verwiesen, die notwendig sind. Müssen die Speichertechnologien für die Energiewende noch erfunden werden?
Nein, wir haben die Technologien schon heute zur Verfügung. Mit den Lithium-Ionen-Batterien und auch mit den klassischen Bleibatterien haben wir für die Kurzzeitspeicher Lösungen. Der Langzeitspeicher im elektrischen Bereich ist Gas , also Wasserstoff oder Methan, das aus grünem Strom hergestellt wird, und dazwischen braucht es dann auch nicht mehr so schrecklich viel. Wenn es um Innovationen geht, dann kann die Frage nur heißen: Bekommen wir die Technologien mit Blick auf die Lebenszykluskosten günstiger. Speicher sind natürlich nach wie vor teuer. Batteriespeicher weisen erhebliche Investitionskosten auf, die über  den Lebenszyklus abgeschrieben werden müssen. Die Forschung muss sich darauf konzentrieren, einerseits Alternativen für begrenzte Rohmaterialien zu finden und zum anderen die Technologien kostengünstiger in Bezug auf die Lebenszykluskosten zu machen. Da spielen dann Investitionskosten, Wirkungsgrad und Lebensdauer aber auch das Recycling eine wichtige Rolle.

Dann lassen Sie uns konkret werden: Welche Speichertechnologien werden für die zukünftige Versorgungssicherheit aber auch Netzstabilität nutzen? 
Alles, was auf einer 24-Stunden-Basis ausgeglichen werden muss, ist die Domäne der Batterietechnologie. Da geht es darum, dass jeden Tag ein Be- und Entladen stattfindet und da spielt der Wirkungsgrad eine große Rolle. Deswegen würde man für einen täglichen Zyklus nicht auf Gas gehen, weil die Umwandlung von Strom zu Gas und wieder zurück zu Strom eine Effizienz von nur rund 40 Prozent im Fall von Wasserstoff als Gas hat. Das heißt, für jede Kilowattstunde, die wieder abgeben werden wird, entstehen eineinhalb Kilowattstunden Verlust. Eine Lithium-Ionen-Batterie inklusive Umrichter erreicht dagegen einen Wirkungsgrad von 85 bis 90 Prozent, das ist schon mal eine ganz andere Hausnummer.

Auf der anderen Seite brauchen wir für die sogenannten Dunkelflauten bis zu drei Wochen eine Überbrückung. Das Energiesystem muss sich also aus Speichern bis zu drei Wochen versorgen können, wenn fossile Energieträger nicht mehr zur Verfügung stehen. Diese Aufgabe kann nach allem, was wir heute sehen, nur Gas übernehmen. Hier spielt dann auch der relativ geringe Wirkungsgrad keine so entscheidende Rolle mehr, sondern es kommt fast ausschließlich auf die Investitionskosten an.

Das kann man ganz leicht vorrechnen: Wenn wir einen ganz günstigen stationären Batteriespeicher nutzen, dann liegen die Installationskosten bei etwa 100 Euro pro Kilowattstunde. Wenn wir 20 Jahre Lebensdauer ansetzen und den Speicher im Schnitt einmal im Jahr brauchen, dann müsste jede Kilowattstunde, die verkauft wird, im Schnitt fünf Euro verdienen. Das beinhaltet noch keine Verlustkompensations-, Wartungs-, Reparatur- oder Kapitalkosten. Der langjährige mittlere Strompreis an der Börse beträgt fünf Cent, also gerade einmal ein Prozent davon. Wenn wir das mit einem Gasspeicher in einer Salzkaverne in Deutschland vergleichen, dann liegen Welten dazwischen. Hier müssen für eine Kilowattstunde Speicherkapazität in der Kaverne nur rund 50 Cent investiert werden. Über die gleichen 20 Jahre mit jeweils einem Zyklus gerechnet, ergeben sich dann 2,5 Cent pro Kilowattstunde. Dazu kommen noch die Abschreibungen für Elektrolyseur und Gasturbine, aber die sind eher untergeordnet. Das ist für einen Langzeitspeicher, der ja eine Art Versicherungsleistung ist, völlig o.k. Da können dann auch noch fünf bis zehn Cent je Kilowattstunde für die Verluste, die sich bei einem Wasserstoffspeichersystem durch den schlechten Wirkungsgrad ergeben, mit drauf rechnen, ohne dass das ein Problem wäre. Auch hier müssen natürlich zusätzlich auch Wartungs-, Reparatur- oder Kapitalkosten berücksichtigt werden.

Deswegen ist es so wichtig, die Speicherformen klar zu unterscheiden: Die Kurzzeitspeicher müssen vor allem einen hohen Wirkungsgrad haben und die Langzeitspeicher müssen geringe Investitionskosten haben, weil sie so selten genutzt werden. 

Gibt es denn aus ihrer Sicht Speichertechnologien, die momentan eher unter dem Radar laufen, die aber größeres Potenzial besitzen? 
Ich würde sagen, es ist eher umgekehrt. Es gibt noch viele Technologien, die in der öffentlichen Meinung eine Rolle spielen, von denen aber ziemlich klar ist, dass sie die Wirtschaftlichkeit nie erreichen. 

Es ist leider sehr brutal: Beim Speicher im stationären Bereich geht es quasi nur über Lebenszykluskosten. Im Mobilitätsbereich spielt das Gewicht noch eine große Rolle, genauso wie die Leistungsfähigkeit in Bezug auf superschnelles Aufladen. Dagegen sind die Anforderungen, die wir an den stationären Speicher haben, alle harmlos. Die Leistungen sind überschaubar, das heißt wir brauchen vielleicht eine halbe Stunde, maximal vier Stunden Strom aus dem Speicher. Aus Sicht des Speichers sind die maximalen Ströme klein. Gewicht und Volumen spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Man qualifiziert sich also im Speicherbereich für stationäre Anwendungen fast ausschließlich über den Kostenfaktor. 

Redox-Flow-Batterien werden ja immer mal wieder als mögliche Alternativen diskutiert. Aber das Problem ist, dass Lithium-Ionen-Batterien einen Marktvorsprung von 30 Jahren haben. 1991 lag der Preis vielleicht bei 3.000 Dollar pro Kilowattstunde, heute liegt der Preis, den die Fahrzeughersteller zahlen, vielleicht bei 100 Dollar pro Kilowattstunde. Das heißt, hier wurde ein Faktor 30 gewonnen, und zwar überwiegend durch Skaleneffekte in der Produktion. Das aufzuholen ist quasi unmöglich.

Es wird immer auch mal wieder diskutiert, wie es mit Technologien wie Schwungrädern, Doppelschichtkondensatoren oder supraleitende Spulen für noch kürzere Überbrückungszeiten aussieht. Da stellen wir aber fest, dass sie wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig sind – und das ist immer das wesentliche Kriterium. Das heißt: Technisch funktionieren die Systeme alle, aber über Einsatzzeiten von 15 Minuten oder länger sind diese Systeme einfach nicht wirtschaftlich. Deswegen sehen wir diese eigentlich nur in Spezialanwendungen, die allerdings weniger mit der Systemintegration der Erneuerbaren zu tun haben. Ein Beispiel wäre ein Containerkran, der jede Minute einen Container anhebt und wieder absetzt und dafür hohen Spitzenleistungsbedarf bzw. Rückspeisebedarf durch Rekuperation hat. Eine ähnliche Anwendung gibt es zum Beispiel in den Unterwerken von U- oder Straßenbahnen. In allen Fällen ist die Spitzenlastkappung die Motivation und nicht die Integration erneuerbarer Energien.

Werden aus Ihrer Sicht auch Elektroautos eine spürbare Rolle dabei spielen, wenn es darum geht, Nachfrageschwankungen innerhalb eines Tages auszugleichen? 
Ich sehe darin nicht nur eine große Chance, sondern sogar ein Muss. Ein Fahrzeug fährt im Schnitt eineinhalb Stunden am Tag. Das bedeutet, die meiste Zeit stehen riesige Kapazitäten herum. Wenn ich als Ladestation nur die kleinste Wallbox mit drei Kilowatt ansetze und von 40 Millionen PKW ausgehe, kommt man zu 120 Gigawatt Leistung. Vergleicht man das mit den sechs Gigawatt, die wir in Pumpspeicherkraftwerken haben oder den 80 Gigawatt Spitzenleistung, dann sieht man sofort, wo das Potenzial steckt. Und es ist völlig klar: Die Fahrzeugbatterien gehen nicht durch das Fahren, sondern durch das Rumstehen kaputt. Wenn es uns nicht gelingt, diese riesige Investitionssumme im Bereich der Elektroautos zu nutzen, wäre das extrem kontraktproduktiv. Es würde nämlich heißen: Wir müssen zusätzliche Speicher aufbauen, die zusätzliches Geld kosten und den Strom bzw. die Energie für uns alle teurer machen. 

Die heutigen Hürden sind zum einen regulatorischer Natur, zum anderen steht die digitale Vernetzung noch dazwischen. Aber volkswirtschaftlich ist die Einbindung der Elektrofahrzeuge quasi ein Muss.

Mit Blick auf die Marktfähigkeit der Speichertechnologien, welche Maßnahmen der neuen Bundesregierung sind hier notwendig?                                                                                                           Eine ganz wesentliche Frage ist: Wie bekommen wir Stabilität in das Verteilnetz? Es geht hier um den Mittel- und Niederspannungsbereich. Die Regulatorik, die wir heute haben, führt eigentlich immer nur dazu, dass mehr Leitungen verlegt werden, wenn es Probleme in einem Verteilnetz gibt. Was bisher überhaupt nicht regulatorisch geregelt ist, sind die möglichen Alternativen: Der Netzbetreiber könnte – anstatt das Netz auszubauen – ja auch Verträge mit denen, die Elektroautos haben, mit denen, die elektrisch basierte Heizungen haben, mit denen, die Hausspeichersysteme haben und auch mit denen, die Photovoltaikanlagen haben, machen. Es geht also darum sich Flexibilität und damit Regelfähigkeit einzukaufen. 
Gleichzeitig spielt hier ein großer anderer Aspekt eine Rolle. Bisher wird die Netzstabilität im Wesentlichen von den Übertragungsnetzbetreibern über große Kraftwerke gewährleistet. Da stellt sich inzwischen die Frage: Kann diese Regelleistung nicht eigentlich aus dem Verteilnetz geholt werden, zum Beispiel über ein Kollektiv aus Millionen von Elektrofahrzeugen? Es gibt aus meiner Sicht überhaupt keinen Grund, warum man in Zukunft noch Momentan- oder Primärregelleistung in irgendwelchen speziellen Einheiten zur Verfügung gestellt und gehandelt werden sollte. Das können tatsächlich diese verteilten Systeme extrem gut und extrem schnell leisten. Die Bereitstellung von beispielsweise einem oder zwei Prozent der Anschlussleistung als frequenzabhängige Regelleistung könnte einfach zu den Netzanschlussbedingungen gehören. Prinzipiell können sie mit jeder Batterie über die Leistungselektronik in zehn Millisekunden auf Volllast sein. Für die Stabilität ist es viel besser, wenn wir verteilte Speicher haben, als heute die wenigen großen Pumpspeicherkraftwerke. Die sitzen nur an wenigen Knotenpunkten und lösen Probleme, die im Verteilnetz auftreten, überhaupt nicht.

Ein anderer Aspekt, der eine Rolle spielt, ist das Thema Netzentgelte. In der Industrie haben wir ja einen Arbeitspreis und einen Leistungspreis für Strom – und das ist auch sachgemäß. Auf der Haushaltsebene haben wir das nicht. Da zahlen wir nur einen Arbeitspreis. Ich glaube aber, dass man da eigentlich hin muss. Wer zum Beispiel eine sehr leistungsfähige Ladestation für sein Elektroauto haben will und meint, er müsse mit 22 Kilowatt zu Hause das Auto laden, dann soll er die haben und dafür auch zahlen. Und zwar nicht nur die Kilowattstunde sondern auch die Netzbelastung. Wenn man also einen Leistungspreis einführt, dann macht es ökonomisch Sinn, auch Spitzenlastglättungen zu machen. Das entlastet das Stromnetz und vermeidet Ausbau und ist ein Geschäftsmodell für Speicher.

Und ein letzter Punkt, der in der Regulatorik wichtig ist: Wir müssen dahinkommen, dass wir Strom dynamisch bepreisen. Wenn wir heute in Norddeutschland Überschüsse aus Windkraft haben und die Anlagen abregeln, ist das nicht sehr sinnig. Wenn es einen zweiten Stromtarif für Überschussstrom gäbe, dann können beispielsweise in allen Häusern, die Gasheizung haben, den Tauchsieder im Wasserspeicher angeworfen, der Gasbrenner abgeschaltet und fossiles Gas gespart werden. So wird Strom lokal genutzt. Das macht aber keiner, solange der Strom beim Endkunden 30 Cent kostet. Auch hier braucht es radikale Neuanfänge in der Frage, wie dieser Energiemarkt insgesamt gesteuert und aufgestellt wird.

Sind diese Aufgaben in der Politik schon angekommen?
Ich glaube, dass die Parteien der Ampelkoalition die Themen kennen. Sie wissen, dass wir insgesamt mit dem Energiemarktdesign am Ende sind. Auch das Merit-Order-Prinzip, das wir für die Strombörse haben, funktioniert in einem System, in dem wir phasenweise lauter Einspeiser haben, die marginale Kosten von null haben, nicht mehr. Das Prinzip, dass der letzte marginale Erzeuger den Gesamtstrompreis bestimmt, kann in einer Welt, in der hauptsächlich Anlagen ohne marginale Kosten betrieben werden, nicht aufgehen. Man muss schlicht und einfach sagen, die letzte Regierung und der letzte Energie- und Wirtschaftsminister wollten da nicht dran gehen. 

Die Probleme sind alle bekannt, aber das wollte in der letzten Regierung keiner behandeln. Das war eine Handlungsverweigerung, das muss man ganz klar sagen.

Natürlich gibt es immer ein paar Leute, die nach einer Reform vielleicht mehr zahlen müssen – das ist ja das große Dilemma, in der die Politik insgesamt steckt, wenn sie solche Reformen machen will. Die Politik hat große Sorge, dass wenige Verlierer in der heutigen medialen Welt so laut sind, dass letzten Endes auch alle anderen meinen, es wäre schlecht, was da gemacht worden ist. Diese Angst lenkt das Handeln von Politik leider sehr stark. 

Wenn wir ins Jahr 2030 schauen, welche Speichertechnologien werden aus ihrer Sicht welche Anwendungen dominieren?
Im Batteriebereich werden es weiter die Lithium-Ionen-Batterien sein. Vielleicht wird Lithium an manchen Stellen durch Natrium ersetzt, aber aus Sicht des Nutzers spielt das bei einem stationären Speicher keine Rolle. Was ich damit sagen will: Es können sich sicher einzelne Details ändern: Wieviel Kobalt oder wieviel Nickel oder ob es eher Eisenphosphat oder Natrium statt Lithium ist oder Festkörperelektrolyte statt flüssiger organischer Lösungsmittel, da wird es sicher noch einige Entwicklungen geben. Aber das kommt organisch, ohne dass es aus Sicht der Anwender einen revolutionären Sprung macht oder das grundlegende Design von Speichersystemen verändert werden müsste. Die Grundtechnologie ist jedenfalls schon heute klar. Für die Anwender zählt am Ende nur, welche Veränderung zu einer Kostensenkung führen kann.

Und dann wird es darum gehen, dass wir die Gasspeicher brauchen. Technisch ist das relativ einfach. Die Elektrolyseur-Technologie für die Wasserstofferzeugung wird seit mehr als 40 Jahren verwendet. Auch da geht es darum, diese günstiger, langlebiger, effizienter zu machen. Aber prinzipiell steht die Technologie zur Verfügung. Bei der Langzeitspeicherung wird es vor allem um das Marktdesign gehen. Ich persönlich sehe die Reservespeicher nicht im normalen Strommarkt. Wenn für Dunkelflauten Energie vorgehalten werden soll, kann es sein, dass für den größeren Teil des Speichers mehrere Jahre lang überhaupt keinen Bedarf aufkommt. Aber irgendwann kommen sie halt, die drei Wochen Dunkelflaute. Das ist das klassische Versicherungsprinzip. Meines Erachtens müsste das über Kapazitätsmärkte gelöst werden. Der Speicher wird dann wie die Infrastruktur des Netzes behandelt: Der Staat bzw. die Bundesnetzagentur bestellt entsprechende Kapazität. Es ist nur die Frage, wann der Staat anfängt, diese Kapazitätsmärkte auszuschreiben. Die Speicher zu bauen, ist kein Hexenwerk, zumal wir hier noch nicht einmal große Planfeststellungsverfahren wie bei Überlandleitungen brauchen. Das geht daher auch relativ schnell. Die Gasspeicher kommen also genau dann, wenn es von staatlicher Seite festgelegt wird, wieviel Reservekapazitäten wir brauchen. Das wäre nach heutiger Struktur Aufgabe der Bundesnetzagentur. Heute löst sie das Problem, in dem sie Kohlekraftwerke, die eigentlich schon aus dem System raus sind, in die Kaltreserve verschiebt. Hier stellt sich eigentlich nur die Frage: Wann wird umgeschwenkt.

Das ist eine rein politische Entscheidung, die nicht der Markt regeln wird, weil dafür die Investitionsrisiken zu hoch sind. Das geht eben nur über einen vernünftigen Kapazitätsmarkt.

Werden wir die benötigten Speicherkapazitäten allein in Deutschland bereitstellen können, oder benötigen wir – noch mehr als heute – große Speicherbecken in Skandinavien und/oder dem Alpenraum? 
Die Wasserkraftwerke im Alpenraum haben nicht mal näherungsweise Kapazitäten für drei Wochen. Die Pumpspeicherkraftwerke, die derzeit in Deutschland betrieben werden, haben im Schnitt acht Stunden Reserve, die Schweizer und die österreichischen Kraftwerke haben etwas mehr, aber die Langzeitreserve im Alpenraum sehen wir gar nicht. Für den skandinavischen Raum gibt es da manch wilde Ideen. Es gibt Fjorde mit 1.000 Meter hohen Wänden. Wenn man dort eine Staumauer errichtet, dann reicht bei den ganz großen Fjorden einer, um Europa als „Batterie“ zu versorgen. Aber mal abgesehen von Themen wie Umsiedlungen und massive ökologische Eingriffe glaube ich nicht, dass das die Lösung ist. Man würde dafür nämlich auch extreme Leitungskapazitäten benötigen. Man müsste 80 Gigawatt Spitzenlast mit Leitungen abdecken, die aber dann eben auch nur ganz selten genutzt würde. Das sehe ich tatsächlich nicht.
Außerdem ist hier Deutschland in puncto Bodenschätze ausnahmsweise mal sehr gut versorgt. Wir haben nämlich ausreichend Kavernenspeicher. Wir haben heute für 90 bis 100 Tage Erdgasspeicher und wir haben weitere Kapazitäten, die wir ausbauen könnten. Für Deutschland sind diese Salzstöcke tatsächlich ein Bodenschatz, den wir in fast unbegrenzter Menge haben. Die Frage, wie man den Salzstock befüllt, ist eine ganz andere spannende Frage. Ist es Wasserstoff, der aus unseren eigenen Überschüssen produziert wurde, oder ist es Wasserstoff, der mit dem Schiff oder über eine Pipeline importiert wird. Aber wir sind uns glaube ich auch einig, dass die Menge der Wind- und Photovoltaikleistung massiv ausgebaut werden muss und damit kommen automatisch auch Überschüsse, die sich nur noch in Wasserstoff sinnvoll nutzen lassen. Also wird auch in Deutschland Wasserstoff entstehen. Die Frage ist, für was setzt man ihn ein. Die Nachfrage nach Wasserstoff ist ja deutlich größer als die Menge, die man wirklich sinnvoll zur Verfügung stellen kann – zumindest für die nächsten zehn bis 20 Jahre. 

Es gibt noch einen anderen Aspekt bei der Langzeitspeicherung, nämlich den der Resilienz des Systems. Wenn man nur über Stromleitungen angeschlossen ist, hat man ein extrem verletzliches System. Wenn jemand das Stromkabel unterbricht, dann fällt innerhalb von Sekunden die gesamte Energieversorgung aus. Bei Gassystemen ist das wesentlich weniger kritisch, weil die Zeitkomponente groß ist. Wenn Russland den Gashahn zudreht, dauert es fünf Tage, bis wir das spüren, und dann haben wir immer noch unsere riesigen Speicher.

Unsere Energieversorgung auf tausende Kilometer Kabel nach außerhalb unserer EU-Partnerländer aufzubauen, die überhaupt nicht zu schützen sind, kann ich mir nicht vorstellen. Innerhalb der EU zum Beispiel nach Skandinavien, Italien oder Spanien ist das was anderes. Hier sollte der Leitungsausbau hohe Priorität haben. Deutschland wird Energieimportland bleiben. Wir werden über Wasserstoff oder über aus grünem Wasserstoff hergestellte chemische Energieträger Energie von außerhalb Europas importieren, davon bin ich auch überzeugt. Das ist aber viel weniger kritisch in puncto Zuverlässigkeit. Das sollte aus wirtschaftspolitischen Gründen eine hohe Priorität haben. Wenn Europa im Süden mehr Entwicklung braucht, dann können wir doch alle davon profitieren. Italien und Spanien bauen insbesondere die Solarenergie massiv aus und wir kaufen die Energie ein. 

Hinweis: In der Energie-Allee konnten nur Teile dieses Interviews abgedruckt werden. Dieser Text gibt das vollständige Gespräch mit Professor Sauer wieder. 

Zur Person: Dr. Dirk Uwe Sauer ist Professor für "Elektrochemische Energiespeicherung und Speichersystemtechnik" an der RWTH Aachen. Der promovierte Physiker beschäftigt sich mit den Themen Batterie- und Energiespeichersysteme für mobile und stationäre Anwendungen in allen Facetten. Zudem ist Professor Sauer unter anderem auch leitender Direktor des Politikberatungsprojekts der nationalen Wissenschaftsakademien „Energiesysteme der Zukunft“ und vertritt das Thema Energie im Präsidium der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech.