
PFAS: Warum die Windenergie nicht als Sündenbock taugt

Es war ein Alarmsignal: Das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz entdeckte im Sommer 2024 hohe Werte von gesundheitsschädlichen PFAS, auch Ewigkeitschemikalien genannt, in den Lebern von Wildschweinen. Die Belastung war so hoch, dass das Amt vom Verzehr dringend abriet, Verarbeitung und Vermarktung, beispielsweise in Leberwurst, wurde untersagt.
Denn: PFAS sind nur schwer abbaubar und reichern sich sowohl im Wasser und im Boden als auch im menschlichen Körper und in Tieren an. Sie stehen im Verdacht, Krebs zu erregen, die Leber oder das Immunsystem zu schädigen. Deshalb wird ein grundsätzliches Verbot in der EU diskutiert.
Doch woher kamen die PFAS in die Wildschweinlebern – und wie geraten diese Chemikalien überhaupt in die Umwelt? Schnell wurden Stimmen laut, der Abrieb von Windenergie-Anlagen sei verantwortlich für die Verbreitung der Ewigkeitschemikalien. Anti-Windkraft-Verbände wie „Vernunftkraft“ fordern deshalb ein Verbot der Verwendung von PFAS in Windenergie-Anlagen.
Wer sich das Thema PFAS allerdings etwas genauer anschaut, der stößt auf ein ziemlich komplexes Problem. Für einfache Antworten ist es gänzlich ungeeignet.

Was sind PFAS und warum werden sie verwendet, wenn sie schädlich sind?
PFAS ist eine Abkürzung für Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Diese Stoffgruppe umfasst nach letzten Schätzungen mehr als 10.000 verschiedene Stoffe.
Wichtig zu wissen ist, dass PFAS nicht natürlich vorkommen. Sie werden erst seit den späten 1940ern hergestellt und eingesetzt. Chemisch sind es organische Verbindungen, bei denen die am Kohlenstoff gebundenen Wasserstoffatome vollständig (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt sind.
Die Fluor-Kohlenstoff-Bindungen machen die PFAS chemisch und thermisch stabil, also ausgesprochen langlebig. Daher auch die Bezeichnung „Ewigkeitschemikalien“.
Genau wegen dieser Eigenschaften sind PFAS so interessant: Sie können hitzefest, wasser-, fett- und schmutzabweisend sein und kommen in zahllosen Produkten zum Einsatz: in Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen, Textilien oder Ski-Wachsen ebenso wie zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen, in Pflanzenschutz- oder Feuerlöschmitteln.
Auch in Windenergie-Anlagen sind PFAS zu finden, etwa in Kunststoffen, bei Rotorblattbeschichtungen oder auch bei der Beschichtung von Kabeln. Allerdings kommen sie gerade wegen der Langlebigkeit hier zum Einsatz, also um die Beschichtungen der Rotorblätter stabiler zu machen und weniger Abrieb in die Umwelt zu emittieren.

Wie gelangen PFAS in die Umwelt?
Das beginnt oft schon bei der Herstellung. So gelangen die Stoffe über Abwasser, Abluft, Bauteile oder Abfälle von Industrieanlagen in die Umwelt. Auch bei der Verarbeitung zu Produkten oder der Verwendung dieser Produkte können PFAS freigesetzt werden, etwa wenn Brände mit PFAS-haltigen Schaum gelöscht oder PFAS-beschichtete Textilien gewaschen werden. Klimaanlagen können PFAS in Form von fluorierten Gasen (sogenannte F-Gase) freisetzen. Nicht zuletzt spielt auch die Entsorgung PFAS-haltiger Produkte eine Rolle: Über die unvollständige Verbrennung von Abfall oder über das Sickerwasser von Deponien können die Stoffe in die Umwelt entweichen. Stark erhöhte PFAS-Konzentrationen wurden bislang vor allem dort festgestellt, wo fluorierte Löschschäume zum Einsatz kamen – etwa auf Truppenübungsplätzen und Flughäfen – und in der Nähe von Produktionsstätten.
Wie wichtig sind PFAS für die Energiewende und die Windenergie?
Umweltorganisation fordern schon länger ein vollständiges Verbot von PFAS. In der EU wird zudem derzeit eine Beschränkung von PFAS diskutiert. Auslöser war, dass im Januar 2023 Behörden aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ein Dossier für die Beschränkung von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) einreichten.
Sie schlugen darin ein Verbot vor, mit zeitlich begrenzten Ausnahmeregelungen für alle Fälle, in denen derzeit noch keine Alternativen verfügbar sind. Das Verfahren läuft derzeit weiter, noch dieses Jahr sollen weitere Ergebnisse vorgestellt werden. Wann aber eine Entscheidung zur Beschränkung von PFAS getroffen wird und wie diese dann aussieht, ist noch offen.

Und wie viel PFAS emittieren Windenergieanlagen nun?
Das schon erwähnte PFAS-Beschränkungsdossier listet hier Zahlen auf: Demnach verursacht der Energiesektor 55 Tonnen PFAS-Emissionen pro Jahr. Das klingt viel, ist aber angesichts einer geschätzten jährlichen Emission von mehr als 75.000 Tonnen pro Jahr ein geringer Anteil. Zudem ist in dieser Zahl der gesamte Energiesektor und eben nicht nur die Windenergie enthalten. Viel mehr emittieren F-Gase (38.806 Tonnen). die als Kältemittel in Kälte- und Klimaanlagen, als Treibgas in Sprays, als Treibmittel in Schäumen und Dämmstoffe und als Feuerlöschmittel zum Einsatz kommen, sowie Textilien, Polster, Leder, Teppiche und ihre Beschichtungen (22.820 Tonnen).
Die belasteten Wildschweinlebern aus Rheinland-Pfalz sind daher wohl kaum auf Emissionen von Windenergie-Anlagen zurückzuführen. Wahrscheinlicher ist, dass ein Einzelereignis wie ein gelöschter Traktorbrand auf einem Feld mit PFAS-haltigem Löschschaum für Emissionen in Wasser und Boden sorgte. Wildschweine wühlen den Boden auf, um Nahrung zu finden. Dabei nehmen sie die PFAS im Boden auf, die sich vor allem an der Leber ablagern. Das Fazit aus den bisherigen Erkenntnissen: Der Problemfall PFAS existiert. Als Sündenbock dafür taugt die Windenergie allerdings am allerwenigsten.