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"Große Fortschritte, aber noch kein Befreiungsschlag."

Der Ausbau der Windenergie kommt nicht vom Fleck. Mit den nun verabschiedeten Gesetzen wurden wichtige Änderungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht. Wir baten die Politikverantwortlichen Michael Herr und Lothar Schulze um eine Einordnung.
14.07.2022 | Wind

Mit wichtigen Gesetzesänderungen noch vor der parlamentarischen Sommerpause haben Bundestag und Bundesrat wichtige energiepolitische Weichenstellungen auf den Weg gebracht, um dem Ausbau der erneuerbaren Energien wieder auf die Sprünge zu helfen. Im Mittelpunkt standen dabei die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sowie das Wind-an-Land-Gesetz (WaLG). Was die Gesetzesänderungen inhaltlich bedeuten und auf was sich die Branche der Erneuerbaren in den kommenden Jahren einstellen muss, darüber sprachen wir mit den beiden Public Affairs beziehungsweise Politikverantwortlichen Michael Herr und Lothar Schulze.

Schauen wir zunächst auf die Inhalte der EEG-Novelle. Was ist aus Branchensicht positiv, wo seht ihr Korrekturbedarf?

Lothar Schulze:

Vorneweg ist anzuerkennen, dass die nun verabschiedete EEG-Novelle weitgehend die Themen umsetzt, die im Koalitionsvertrag angekündigt waren. Gerade mit Blick auf die vorherige Bundesregierung und ihr oftmals sehr zögerliches Handeln ist das natürlich sehr erfreulich. Als erstes sind die übergeordneten Ziele für den EE-Ausbau bis 2030 und darüber hinaus als positiv zu nennen. Sie hinterlegen das Bestreben der Bundesregierung die Klimaschutzziele auch tatsächlich erreichen zu wollen. Die Ziele werden zudem mit konkreten technologiespezifischen Ausbaukorridoren und Ausschreibungsmengen hauptsächlich für Wind an Land und PV-Freiflächenanlagen hinterlegt. Definierte Zwischenziele, sowohl die übergeordneten EE-Ausbauziele als auch die technologiespezifischen Pfade, ermöglichen eine Überprüfung des Ausbaufortschritts und eines eventuell notwendigen Gegensteuerns. Wichtig und ebenfalls positiv ist, dass die Ausbaumengen in Relation zu einer aus unserer Sicht realistischen Entwicklung des Stromverbrauchs gesetzt werden. 

 

Wichtig und von großer Bedeutung gerade für die Projektentwicklung ist die Klarstellung, dass Errichtung und Betrieb von EE-Anlagen „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegen und diese Anlagen der öffentlichen Versorgungssicherheit dienen.

Michael Herr:

Gerade mit Blick auf den benötigten dezentralen bundesweiten Ausbau der Windenergie ist die Verlängerung des Referenzertragsmodell bis auf eine Standortqualität von 50 Prozent sehr wichtig. Für das gesamte Bundesgebiet gilt zukünftig zudem für den 60-Prozent-Standort eine sachgerechter Korrekturfaktor, so dass dieser Standort auch tatsächlich gegenüber Standorten über 70 Prozent Güte wettbewerbsfähig ist. Die Verlängerung des Referenzertragsmodells auf die Südregion ersetzt die ursprünglich angestrebte Regelung einer Südquote, die im EEG 2021 enthalten ist, die von der EU aber bis dato nicht genehmigt wurde.

Auch beim Thema kommunale Beteiligung wurde nochmal nachgebessert, so dass eine Beteiligung zukünftig auch rechtssicher für Projekte ausgezahlt werden kann, die keine EEG-Zahlungen erhalten. Und, ganz spannend, die finanzielle Beteiligung von Kommunen ist jetzt auch für Bestandsanlagen möglich, und zwar inklusive der Rückerstattungsmöglichkeit über den Netzbetreiber. 

Mit Blick auf den PV-Bereich ist die Erweiterung der Flächenkulisse um weitere Kategorien wie z.B. „Moor-PV“ positiv. Für einen noch deutlicheren Zubaueffekt dürfte aber die Erweiterung der sogenannten Seitenrandstreifen entlang von Schienen und Verkehrswegen auf 500 Meter sorgen.

VOR DEM HINTERGRUND VON MASSIVEN LIEFERENGPÄSSEN NETZTECHNISCHER KOMPONENTEN HAT SICH JUWI IN DEN VERGANGENEN WOCHEN FÜR EINE VERLÄNGERUNG DER EEG-REALISIERUNGSFRISTEN STARK GEMACHT. WELCHE REGELUNG SIEHT DAS FINALE EEG HIERZU VOR?

Lothar Schulze:

Wir konnten auf den letzten Metern noch erreichen, dass zumindest für Wind-an-Land eine Verlängerungsoption von maximal sechs Monaten auf Antrag bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) möglich wird. Leider wurde diese Regelung nicht auch für die PV-Freifläche aufgenommen, so dass dort das Problem weiterhin besteht. Gleiches gilt für die Bestimmung des Höchstwertes der zulässigen Gebote für Windenergie an Land. Hier räumt das EEG der Bundesnetzagentur die Möglichkeit ein, den Wind-an-Land Höchstwert um 10 Prozent zu erhöhen, sofern im Vorjahr eine Steigerung der Rohstoffkosten von mindestens 15 Prozent stattgefunden hat. Auch diese Regelung gilt leider nur für Wind-an-Land, obwohl sie bei der Photovoltaik genauso erforderlich gewesen wäre.

Auch bei der sogenannten Innovationsausschreibung gab es Veränderungen. Was gibt es hier Neues?

Michael Herr:

Im Bereich der Förderung von Innovation wird die Vergütung im Rahmen der Innovationsausschreibung von einer fixen auf eine gleitende Marktprämie umgestellt. Zudem wurden die Ausschreibungsmengen nochmal deutlich angehoben. Neu ist auch die Schaffung zweier neuer Ausschreibungssegmente: Einmal für Hybrid-Anlagen mit „wasserstoffbasierter Stromspeicherung“ zum anderen auch Ausschreibungen für „Anlagen zur Erzeugung von Strom aus grünem Wasserstoff“.

Die Bundesregierung hebt die Ausschreibungsmengen bei den Innovationsausschreibungen ab 2023 um 200 Megawatt pro Jahr an. Ist dieses Mengengerüst aus eurer Sicht vor allem vor dem Hintergrund der Umstellung auf eine gleitende Marktprämie ohne Anhebung des Höchstwertes realistisch?

Michael Herr:

Das wird eine sehr spannende Frage, deren Antwort wir spätestens dann mit der nächsten Ausschreibung am 1. Dezember 2022 sehen werden. Nach unserer Einschätzung wird die Innovationsausschreibung durch die Umstellung auf eine gleitende Marktprämie unattraktiv im Vergleich zu den technologiespezifischen Ausschreibungen. Dies hatten wir der Politik auch sehr deutlich mitgeteilt. Die Teilnahmezahlen werden es zeigen. Wir werden das sehr genau beobachten, denn wir sehen weiterhin in den Innovationsausschreibungen Chancen für uns, nachdem wir dort bereits mit mehreren Projekten erfolgreich waren.

Mit Spannung erwartet wurde nach der Ansage im Koalitionsvertrag, bundesweit zwei Prozent der Fläche für die Windenergie verfügbar zu machen, die Umsetzung im so genannten Wind-an-Land-Gesetz. Wie beurteilt ihr dieses Gesetzespaket? Welche Konsequenzen wird es für den weiteren Ausbau der Windenergie an Land haben?

Lothar Schulze:

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass das Wind-an-Land Gesetz (WaLG) nun erstmals die Länder dazu verpflichtet, die viel diskutierte Zwei-Prozent-Flächenbereitstellung bundesweit tatsächlich und verbindlich in Form von ausgewiesenen Windenergiegebieten umzusetzen. Nach dem Gesetz werden die Länder verpflichtet, bis 2032 einen spezifischen Flächenbeitragswert zwischen 1,8 und 2,2 Prozent der Landesfläche auszuweisen. Für die Stadtstaaten sind 0,5 Prozent vorgesehen. Ende 2027 müssen erstmals Zwischenziele erreicht werden. Sofern ein Bundesland die Pflicht nicht erfüllt, gilt die Privilegierung der Windenergie im Außenbereich gemäß Baugesetzbuch. Damit wären Windenergieanlagen überall zulässig, wo sie die Anforderungen des BImSchG erfüllen. Der Regelungsmechanismus wird von uns und den meisten Branchenakteuren sehr begrüßt. 
Aus Sicht der Branche hätten wir uns jedoch ein deutlich schnelleres Vorgehen gewünscht und haben dies auch massiv gefordert.

Doch statt einer Verkürzung der Umsetzungsfrist hat die Bundesregierung im letzten Entwurf den Ländern sogar ein Jahr mehr Zeit für die Erfüllung der Flächenvorgaben gegeben, nun bis Ende des Jahr 2027. Die beschlossene Gesetzesregelung bewirkt damit zunächst ein Fortbestehen der bisherigen Regelungen – sogar länderspezifische Abstandsregelungen bleiben erhalten – und überwindet die Flächenknappheit und die vielen Hemmnisse des Ausbaus der Windenergie nicht.

Bei Bundesländern, die bisher schon viel Fläche ausgewiesen haben, fehlt dadurch gegebenenfalls der Anreiz, mehr Flächen auszuweisen. Länder, die den Ausbau der Windenergie bis dato eher gebremst haben, könnten den Ausbau auch weiterhin verzögern. 

Michael Herr:

Kritisch sehen wir auch die Flächentauschoption, die im letzten Moment des parlamentarischen Verfahrens noch einmal deutlich ausgeweitet wurde. Danach können Flächenländer bis zu 50 Prozent ihrer Flächenvorgaben mit anderen Ländern tauschen. Konkret am Beispiel Bayern: hier sind 1,8 Prozent bis zum Jahr 2032 vorgesehen. Sofern das Land Tauschpartner mit Übererfüllung findet (z.B. Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg o.a.)  könnte es über einen Staatsvertrag seine eigene Zielerreichung im Jahr 2032 bis auf 0,9 Prozent der Landesflächen reduzieren. Auf das Zwischenziel 2027 würde entsprechend weniger entfallen, was den Druck, tatsächlich kurzfristig umfangreich in die Flächenausweisung einzusteigen, deutlich reduziert. Ambitionierte Bundesländer können zum Ausgleich bis zu 3,3 Prozent der Fläche ausweisen und sich den Überschuss gegenüber dem eigenen Landesziel „abkaufen“ lassen.

Der von uns schon seit langem geforderte bundesweite Ausbau der Windenergie könnte bei so weit auseinandergehenden Flächenanteilen der Länder nicht wirklich erreicht werden, was am Ende zu zusätzlichem Ausbaubedarf bei den Stromleitungen – und damit zum nächsten Problem - führen würde. 

Als dritte Änderung wurde am 7. und 8. Juli das Bundesnaturschutzgesetz geändert. Damit sollen die Einigungen des Eckpunktepapiers „Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land“ aus dem April umgesetzt werden. Wie beurteilt ihr das Gesetz?

Lothar Schulze:

Das Eckpunktepapier haben wir und viele Akteure aus der Windbranche deutlich kritisiert, vor allem bezüglich der absehbar häufigen Ausnahmeerteilung (Ausnahme darf nicht zur Regel werden) und der Liste bedrohter Tierarten mit Prüf- und Untersuchungsradien, die nicht dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion entsprachen. Bei der Umsetzung in das BNatSchG und auch auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens wurden einige problematische Regelungen korrigiert, zum Beispiel die Prüfradien bei bestimmten geschützten Tieren. Auch wurde eine Reihe von unbestimmten Rechtsbegriffen, die erfahrungsgemäß in der Auseinandersetzung mit Behörden und vor Gericht zu vielen Schwierigkeiten führen, entfernt oder klarer definiert.

Michael Herr:

Die Auswirkungen des geänderten BNatSchG sind komplex und noch nicht vollständig analysiert. Dennoch können wir schon mit Bestimmtheit sagen: Der große Wurf für die Lösung des vermeintlichen Konflikts zwischen Windenergieausbau und Artenschutz ist es nicht. Der von uns geforderte Wechsel vom Schutz einzelner Individuen zum Schutz der Population wurde noch nicht vollzogen. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber die Mängel möglichst schnell angeht, gegebenenfalls im Wechselspiel mit Anpassungen an der EU-Gesetzgebung. 

Das klingt wie „Nach der Novelle ist vor der Novelle“. Absicht der Regierungskoalition war ja, mit dem Gesetzespaket die den Ausbau der Wind- und Solarenergie in Deutschland massiv zu beschleunigen. Ist damit der Befreiungsschlag gelungen, der Deutschland wieder auf den 1,5-Grad-Pfad bringt? Oder werden wir die Ziele so nicht erreichen können?

Lothar Schulze:

Die Eindrücke sind unterschiedlich. Das EEG sehen wir eindeutig positiv. Wobei das EEG aber nur die Ziele für den Ausbau benennen und die rechtlich-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen kann. Für die Umsetzung brauchen wir genehmigte Projekte. Beim Wind-an-Land-Gesetz sehen wir gute Regelungsmechanismen, aber die Beschleunigung fehlt. Noch wissen wir nicht, wie es sich in der Praxis auswirken wird. Wir verlieren möglicherweise die nächsten fünf Jahre, die für das Erreichen der Klimaschutzziele die entscheidenden sind. Ohne drastische Beschleunigung bedroht eine massive Erzeugungslücke die Sicherheit der Energieversorgung und die Unabhängigkeit von Importen. Die Auswirkungen des BNatSchG sind sehr komplex und noch nicht abschließend zu beurteilen. Nach erstem Eindruck sehen wir insgesamt zwar große Fortschritte, aber noch nicht den Befreiungsschlag.

Wichtig hierfür sind neben den bisherigen Gesetzesänderungen vor allem die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren verbunden mit der Erhöhung der Rechtssicherheit sowie die Neugestaltung des Strommarktes. Wenn die Regierung mit dem gleichen Tempo an diese Themen herangeht wird es ein spannender Herbst!